Interview mit Andreas Freytag: Globaler Handel und Nachhaltigkeit in Deutschland

Prof. Dr. Andreas Freytag, Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Welche Chancen und Risiken birgt der globale Handel für nachhaltige Entwicklung in Deutschland? Wie können künftige Handelsabkommen Deutschland dabei helfen, Fortschritte in der nachhaltigen Entwicklung auf eine multilaterale Basis zu stellen? Was kann die Wissenschaft dazu beitragen? Darüber spricht Andreas Freytag im Interview.

 

Herr Freytag, welche Chancen und Risiken sehen Sie im globalen Handel für die nachhaltige Entwicklung in Deutschland?

Andreas Freytag: Eine Chance besteht darin, dass sich durch globalen Handel beispielsweise erneuerbare Energien immer weiter global durchsetzen, ein Anliegen das auch Deutschland mit der Energiewende angestoßen hat. Allerdings gilt es hier, das Bewusstsein für die Notwendigkeit solche Erfahrungen international stärker auszutauschen und damit globale Märkte für Nachhaltigkeit zu stärken.

Ein befürchtetes Risiko liegt darin, dass international eingeführte Erhöhungen von Standards für Produktionsbedingungen Nachteile für deutsche Produzenten auf dem globalen Markt bringen könnten – diese Befürchtungen sind in Teilen real. Daher ist es wichtig, dass Standards und Kriterien durch die Politik multilateral verankert werden und das Recht auf Wachstum global verhandelt wird.

Entscheidende Fragen, etwa nach den Gewinnern und Verlierern und nach Möglichkeiten, Transformationsprozesse langfristig gerecht zu gestalten, stellen sich derzeit genauso auch in anderen Ländern und auf globaler Ebene. Multilaterale Foren, wie die WTO und die UN, sollten trotz der benötigten Reformen weiterhin gestärkt werden, um einen solchen Austausch voranzutreiben und nationale Alleingänge und Protektionismus und Handelskonflikte zu vermeiden.

Wo sehen Sie für die Forschung Anknüpfungspunkte, um Transformationsprozesse hin zu mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen?

Freytag: Ich sehe zwei wichtige Punkte, bei denen die Forschung eine tragende Rolle spielen kann: zum einen bei der Planung und Kommunikation dieser Prozesse mit der Bevölkerung in den Ländern. Hier müssen Ängste vor Veränderungen genommen und Externalitäten abgefangen werden. Zum zweiten bei der Schaffung und Ausweitung eines globalen level playing field durch multilaterale Abkommen für den Handel unter Berücksichtigung dieser Prozesse in den Ländern.

Beide Punkte und ihre Interaktion sehe ich als wichtigen Gegenstand zukünftiger Forschung. Mit Interaktion meine ich, dass Außenhandel im Grundsatz nicht mehr als die Erweiterung der innerstaatlichen Arbeitsteilung auf Handelspartner anderer Nationen ist. So wie die innerstaatliche Arbeitsteilung diesen Effekt haben kann, zeigt sich, dass auch Handelsabkommen beziehungsweise Handelsbarrieren nicht der gesamten Bevölkerung, sondern einzelnen Sektoren dienen oder diese benachteiligen können. Daher müssen innerstaatliche Transformationsprozesse und Außenhandel immer zusammengedacht werden, vor allem auch hinsichtlich der Unterschiede in der Rechtsordnung, der die am Handel beteiligten Akteure unterliegen.

Insgesamt sollte die internationale Politik dahin kommen, eine erneuerte Orientierung für die Durchsetzung von Regeln für Transformationsprozesse anzulegen, mit deren Hilfe national sowie global eine wohlstandsfördernde Wirtschaftspolitik mit zielgenauer Umwelt- und Sozialpolitik kombiniert werden kann. Die Forschung sollte diese Prozesse kritisch betrachten und analysieren, etwa: Was funktioniert, und was funktioniert nicht? Wo soll im Sinne dieser Zielsetzung nachgebessert werden, damit der Außenhandel unterstützend auf nationale Transformationsprozesse wirken kann und diese nicht behindert?

Wie können künftige Handelsabkommen Deutschland dabei helfen, Fortschritte in der nachhaltigen Entwicklung auf eine multilaterale Basis zu stellen?

Freytag: Handelsabkommen können innerstaatliche Transformationsprozesse darin unterstützen, dass sie Standards und Handelskriterien für eine nachhaltige Entwicklung unter Berücksichtigung sozialer und umweltpolitischer Gesichtspunkte bi-  beziehungsweise  multilateral verankern – und dadurch im besten Fall positive Rückkopplungen in die Rechtsordnungen der beteiligten Länder erzeugen. Dadurch können Handelsabkommen die multilaterale Handelsordnung dahingehend verändern, dass die aus ökonomischer Perspektive rationale Liberalisierung für die nachhaltige Entwicklung nicht nur politisch sondern auch ökonomisch attraktiv wird. Schlüssel dafür ist allerdings weiterhin der Wettbewerb und damit die Marktfähigkeit innovativer nachhaltiger Produkte und Produktionsweisen.

Neben der Funktion als potenzieller Treiber kommt Handelsabkommen damit auch eine Kontrollfunktion zu. Wenn die Kosten beziehungsweise der Preis, etwa von alternativen Energien, nicht wettbewerbsfähig sind, wird es schwer, sie über den globalen Markt zu etablieren. Genauso, wie beispielsweise sicherheitspolitische Aspekte in Handelsabkommen zur Energieversorgung miteinbezogen werden, können jedoch auch Umwelt- und Sozialkosten und Nutzen internalisiert werden und damit die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltiger Produkte eventuell verbessern.

Multilaterale Instrumente, wie das Kyoto-Protokoll und dort verankerte Emissionszertifikate, bieten etwa einen Rahmen für eine solche Internalisierung. Auch wenn noch nicht alle Länder und alle Sektoren – Stichwort See- und Luftverkehr –  einbezogen sind, gilt: Je mehr Länder derartige globalen Rahmensetzung unterstützen, desto besser können Märkte und der Handel zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele beitragen.

Und was kann die Forschung dazu beitragen?

Freytag: Die Forschung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie beispielsweise möglichst umfassend die Umwelt- und Sozialkosten sowie- Nutzen berechnet, ebenso wie die Transaktionskosten ihrer Verhandlung beziehungsweise Internalisierung. Denn wenn diese Grundlagen möglichst klar aufgezeigt und Verbesserungsbedarfe identifiziert sind, können die beschriebenen Marktmechanismen ihren potenziellen Beitrag am wirksamsten realisieren. Diese Verbesserungen dann voranzutreiben, ist Aufgabe der Politik.

Genauso sehe ich einen wichtigen Forschungsgegenstand darin, die Kosten und Nutzenanalyse für die deutschen Prozesse – etwa die Ausstiegsszenarien für Atomkraft und Kohle in der Energiewende – transparent zu gestalten. Der Zeitfaktor ist hier ein wichtiges Kriterium. Ich sehe es als geboten, dass die Forschung hier ihren Beitrag dazu leistet, wieder zu einer sachlichen und realitätsbezogenen politischen Diskussion zurückzukommen. Die Wissenschaft sollte entsprechend klare und realisierbare Ausstiegsszenarien aus der fossilen Energie aufweisen. Die Bundesregierung sollte dann möglichst mit allen Nachbarländern und auf EU-Ebene über gemeinsame Strategien zu einer Zukunft mit wesentlich geringerer Nutzung oder dem völligen Verzicht auf bestimmte Ressourcen wie fossile Brennstoffe verhandeln.

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