Wie wirken freiwillige und verpflichtende unternehmerische Beiträge zu nachhaltiger Entwicklung? Welche Rolle spielen dabei Annahmen zu Wirkungszusammenhängen? Wie wichtig ist es, diese Wirkungszusammenhänge offenzulegen? Wie finden Unternehmen mit Akteuren aus Politik und Gesellschaft gemeinsam Lösungen zu gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen? Darüber spricht Alexander Brink im Interview.
Herr Brink, um Unternehmen dazu zu bewegen, eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen, setzt die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie vor allem auf freiwillige, nichtverpflichtende Maßnahmen. Was weiß die Forschung über die Wirksamkeit solcher freiwilligen unternehmerischen Maßnahmen?
Alexander Brink: Die empirische Forschung spricht nicht eindeutig für oder gegen die höhere Wirksamkeit von freiwilligen gegenüber staatlich initiierten oder rechtlich regulierten Maßnahmen. Die Frage nach der Effizienz und Effektivität dieser Maßnahmen erfordert eine differenzierte Betrachtung, denn es spielen noch zahlreiche weitere Faktoren eine Rolle.
Können Sie Beispiele nennen?
Brink: Einige Forschungsarbeiten legen nahe, dass eine bestimmte Kombination von Faktoren besondere Wirkung entfalten: Zum Beispiel, wenn freiwillige Maßnahmen von Unternehmen initiiert werden, da hierdurch staatlichen oder supra-nationalen Regulationen vorausgegriffen werden kann.
Darüber hinaus gibt es weitere wichtige Einflussfaktoren: Etwa wenn Maßnahmen begleitet werden von sogenannten Watchdogs. Das können staatliche Institutionen sein, aber auch vergleichbare Unternehmen, Industrieverbände oder NGOs.
Auch der jeweilige Unternehmenstyp kann einen Unterschied machen. Der öffentliche Druck auf exponierte Großunternehmen ist beispielsweise deutlich höher als auf KMUs und Familienbetriebe – wohingegen letztere häufig eine stark auf Nachhaltigkeit bezogene unternehmerische Praxis leben, diese aber nicht als solche betiteln oder nach außen kommunizieren.
Zudem spielt es eine Rolle, ob das jeweilige Unternehmen primär B2B (business to business) oder B2C (business to customers) Beziehungen unterhält oder in welchem Industriezweig oder Land es operiert. Abschließend setzt die Frage nach der Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen natürlich auch eine Vergleichbarkeit der Messung von Wirksamkeit voraus, die vor dem Hintergrund der Vielzahl an Maßnahmen, aber auch an Disziplinen und theoretischen Zugängen zu dem Thema, oft nicht gegeben ist.
Wir plädieren für die Umsetzung, sich an einer werteorientierten Unternehmensführung zu orientieren.[1] Im Kontext der Digitalisierung schlagen wir das Konzept „Corporate Digital Responsibility“ vor.[2]
In einem Artikel von Ihnen und Felix Schweren in der Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (2016, 17/1[3]) argumentieren Sie, dass durch eine Berichtspflicht das freiwillige Engagement von Unternehmen für CSR bezogene Aktivitäten und für eine nachhaltige Entwicklung zurückgehen würde – es also weniger privatwirtschaftliches Engagement gäbe. Andere Stimmen sprechen sich hingegen für eine stärkere Berichtspflicht von Unternehmen aus (vgl. das Koreferat von Herrn Loew zu Ihrem Beitrag in der gleichen Ausgabe[4]). Unterschiedlichen Maßnahmen zur Förderung des privatwirtschaftlichen Beitrags zu einer nachhaltigen Entwicklung unterliegen demnach offenbar unterschiedlichen Annahmen über Wirkungszusammenhänge und “Theories of Change”. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie?
Brink: Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie und die dazugehörigen Indikatorenberichte bieten einen nur sehr begrenzten Rahmen für eine fundierte wissenschaftliche Darstellung und Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Maßnahmen zugrundeliegenden “Theories of Change” und Wirkungsannahmen. Trotzdem sollten diese Hintergründe beleuchtet werden. Nicht nur um aus wissenschaftlicher Sicht die Auswahl und Bewertung politischer Maßnahmen nachvollziehen und kritisch hinterfragen zu können, sondern auch um Transformationsprozesse besser zu kommunizieren und dadurch Unsicherheiten und Ängste nehmen zu können.
Für die Wirtschaft steht unter anderem der Punkt der Planungssicherheit in solchen Prozessen im Vordergrund, um langfristig wirtschaftlich rentable Entscheidungen treffen und sie – wie in der Politik auch – gegenüber Key-Stakeholdern kommunizieren und legitimieren zu können. Besonders Entscheidungen und Maßnahmen mit tiefgreifenden Folgen – wie etwa im Zuge der Digitalisierung im Arbeitssektor als ein ganz wesentlicher Transformationsprozess – erhalten die nötige Zustimmung und Unterstützung nur, wenn die zugrundeliegenden Zielsetzungen und Wirkungsannahmen verstanden werden.
Dieses Verständnis von der Rolle von Unternehmen in Transformationsprozessen stellt die traditionelle Sichtweise auf wirtschaftliche Akteure als rational actors beziehungsweise homines oeconomici in Frage. Alternative theoretische Zugänge, wie etwa durch Stakeholder- und institutionstheoretische Ansätze, weisen die Lücken und Grenzen dieser traditionellen Sichtweise auf.
Sehen Sie den Bedarf, diese oft historisch bedingten Annahmen über Wirkungszusammenhänge explizit und somit der wissenschaftlichen Analyse und Diskussion zugänglich zu machen?
Brink: Die Beleuchtung dieser Zusammenhänge und das Explizieren von Wirkungsannahmen halte ich für die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und den SDGs für wichtig, damit Wirkungsannahmen vor dem Hintergrund alternativer Ansätze und Politiken immer wieder kritisch hinterfragt und bewertet werden.
Auch bin ich der Meinung, dass auf diesem Wege, die Unternehmen selbst wieder stärker in diese Diskussion einbezogen werden können. Nach mehreren Jahrzehnten von CSR und nachhaltiger Entwicklung haben sich inzwischen einige Standards, besonders im Berichtswesen, etabliert. Das ist an sich eine gute Entwicklung. Jedoch können Maßnahmen, die gängige Praxis sind, für Unternehmen auch an Bedeutung verlieren, da sie dann nicht mehr als Alleinstellungsmerkmale dienen können. Unternehmen sollten die Freiheit haben, sich mit Blick auf ihre Werte zu positionieren.
Unternehmen sollten Nachhaltigkeit (wieder) zu ihrer Aufgabe machen, Innovationen selbst vorantreiben und nicht auf gesetzlich geforderten Minimalanforderungen verharren. Aus unserer praktischen Arbeit mit Unternehmen können wir von vielen Beispielen berichten, die bereits jetzt zeigen, dass die SDGs es geschafft haben wieder einen Impuls für solche Dynamiken zugeben. Auf der anderen Seite muss natürlich vor dem Hintergrund von eklatanten Gesetzesverstößen, wie dem Dieselskandal, realistisch auf die Grenzen freiwilliger und verpflichtender Maßnahmen geschaut werden.
Wieviel Glaubwürdigkeit haben freiwillige Maßnahmen, wenn ein Unternehmen sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben hält? Und wie effektiv sind gesetzliche Vorgaben, wenn staatliche Kontrollinstanzen sie nicht effektiv umsetzen?
Können Sie weitere konkrete Beispiele für Fragen nennen, deren Untersuchung Sie für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung diesbezüglich mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie besonders interessant fänden?
Brink: Generell finde ich die Untersuchung neuer Ansätze zu den SDGs außerordentlich spannend. Wie finden Unternehmen mit Akteuren aus Politik und Gesellschaft gemeinsam Lösungen zu gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen? Was funktioniert, was nicht?
Als ein Beispiel für solche Ansätze beschäftigen wir uns derzeit beispielsweise mit sogenannten „strategischen Frühwarnsystemen“ und Innovationslaboren, durch die die SDGs in die langfristige Risikoeinschätzungen und Innovationsförderungen der Unternehmen miteinfließen. Die Universität Bayreuth bietet Studenten und Unternehmen die Möglichkeit, solche innovativen Ideen zu entwickeln und zusammen in einjährigen Think Tanks in Kooperation mit Unternehmen umzusetzen. Besonders bieten sich soziale Innovationen z.B. über Profit-Nonprofit-Kooperationen an.[5]
Dahingehend ist ein weiterer spannender Themenbereich das Zusammenspiel von öffentlicher Förderung und privatwirtschaftlichem Engagement und die Frage, wie eine öffentliche Förderung – über regulative Maßnahmen hinaus – die beschriebenen Dynamiken innerhalb der Wirtschaft für die Umsetzung der SDGs, durch entsprechende Anreizsysteme aufrechterhalten und weiter vorantreiben kann.
Regionale – häufig trisektorale – Akteurscluster sind ebenfalls interessante Innovationsquellen, die weiter untersucht werden sollten.[6] Solche Cluster finden sich oft bereits aufgrund von gemeinsamen Interessen lokal zusammen und sind aus wissenschaftlicher Sicht interessant, da hier mit teils hohem Engagement aus konkreten Problemen heraus Lösungen entwickelt werden, die Übertragungs- und Lernpotential für vergleichbare Problemstellungen in anderen Regionen bergen können. Diese und andere Lösungsansätze sollte die Wissenschaft in die Diskussion zur Weiterentwicklung der DNS miteinbringen.
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[1] Der Blue Ocean der Werte: Werte als neue Währung, in: Rethinking Finance, Handelsblatt (gemeinsam mit M. Groß-Engelmann) (2019) (im Erscheinen)
[2] Corporate Digital Responsibility. Den digitalen Wandel von Unternehmen und Gesellschaft erfolgreich gestalten, in: Spektrum. Das Wissenschaftsmagazin der Universität Bayreuth, 12(1), 38–41 (gemeinsam mit F. Esselmann) (2016) und Digitale Verantwortung von Unternehmen. Corporate Digital Responsibility, http://www.hr40.digital/culture-change/corporate-digital-responsibility und http://www.perspektive40.de/4-ausbildung-4/corporate-digital-responsibility (2017)
[3] https://econpapers.repec.org/article/raiethics/doi_3a10.1688_2fzfwu-2016-01-schweren.htm
[4] Praxisbeitrag: Felix C. Schweren, Alexander Brink CSR-Berichterstattung in Europa (CSR Reporting in Europe) 177-191 (Abstract) – Korreferat: Thomas Loew: CSR und der Streit um Freiwilligkeit und Rahmenbedingungen – nicht nur bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung, 192-197: http://www.hampp-verlag.de/hampp_e-journals_zfwu.htm
[5] Kooperationsökonomie. Die Zukunft nachhaltiger Wertschöpfung, in: Spektrum. Das Wissenschaftsmagazin der Universität Bayreuth, 13(2), 34–37 (2017)
[6] Das Saarland auf dem Weg in die vierte Generation, in: saaris (Hrsg.): Von der Vielfalt der unternehmerischen Verantwortung im Saarland, Saarbrücken, 13–15 (2015) und Das Vier-Generationen-Modell unternehmerischer Verantwortung: Ein Vorschlag zur Entwicklung regionaler moralischer Intelligenz, in: Wirtschaftspolitische Blätter, 3–4, 569–582 (2014)