Was sind Digitale Gemeingüter und Open Environmental Data? Warum sind sie für Nachhaltigkeit und die Umsetzung der Sustainable Development Goals so wichtig? Wie nutzt die Wissenschaft bislang die Daten? Welche Herausforderungen gibt es? Darüber sprechen Ina Schieferdecker und Sven Kaumanns im Interview.
Was verstehen Sie unter digitalen Gemeingütern? Was sind Open Environmental Data?
Ina Schieferdecker: Auch das Digitale kennt Gemeingüter. Mit digitalen Gemeingütern (engl. Digital Commons) bezeichnen wir die im Gemeininteresse stehenden digitalisierten Artefakte wie Daten und Informationen, aber auch digitalisierte Wissens- und Bildungsressourcen. Dazu gehören Open Educational Resources, frei zugängliches Wissen unter offenen Lizenzen – wie unter den Creative Commons Licences – das digitalisierte Natur- und Kulturerbe, Open Governmental Data – nach der Public-Sector-Information-Richtlinie – oder Open Data im Allgemeinen.
Open Environmental Data (dt. offene Umweltdaten) sind als Teil von Open Data ebenfalls ein Beispiel digitaler Gemeingüter. Hierzu zählen Umweltdatenbestände des öffentlichen Sektors, die von öffentlichen Stellen „im Interesse der Allgemeinheit ohne jedwede Einschränkung zur freien Nutzung, zur Weiterverarbeitung und zur freien Weiterverwendung frei zugänglich gemacht werden“.
Daten und Informationen sind für die Umsetzung der SDGs global und auch national unerlässlich. Welchen Bezug stellen Sie zwischen der Idee von digitalen Gemeingütern und einer nachhaltigen Entwicklung her?
Schieferdecker: Wenn wir uns solche SDGs mit ökologischer Zielrichtung ansehen – Beispiele wären SDG 14 und 15) -, dann bilden Status-, Verlaufs- und Prognosedaten zu Wasser, Land, Luft, zu Flora und Fauna, in Höhen und Tiefen die Ausgangs-, Ziel- oder Wirkungsbetrachtung jedweder Maßnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlagen ab. Durch eine Bereitstellung von Open Environmental Data als Beispiel digitaler Gemeingüter durch vertrauenswürdige Institutionen, wie öffentliche Verwaltungen, haben wir nun etwa die Möglichkeit, verlässliche Daten zu Umweltveränderungen abzurufen und für digitale Anwendungen oder digital-gestützte Initiativen in verschiedenen Kontexten durch verschiedene Akteure für das Ziel der Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung nutzbar zu machen.
Dadurch ließe sich eine Aufwandsminimierung und Impact-Maximierung durch die SDG-orientierte Nutzung digitaler Gemeingüter erzielen und die Zukunftsfähigkeit politischer Agenden, wie der SDGs und der DNS verbessern. Zum einen, da diese durch technologische Fortschritte und Innovationen in der Datenerhebung und Verarbeitung transparenter und dadurch hoffentlich auch erfolgreicher umgesetzt werden können. Zum anderen, da durch offene Daten und Informationen sensibler auf zukünftige Entwicklungen und Trends reagiert werden kann und diese bereits frühzeitig in die Umsetzungsüberlegungen einbezogen werden können.
Herr Kaumanns, wie sehen Sie den derzeitigen Bedarf für bzw. Stand der Nutzung von Open Environmental Data für die Umsetzung der DNS? Etwa von Daten und Informationen durch die Wissenschaft?
Sven Kaumanns: Nachhaltigkeit ist ein sehr umfassendes Konzept. Es umfasst neben Aspekten der Umwelt auch zunehmend soziale und darin enthalten natürlich auch die ökonomischen Aspekte. Zudem sind gerade die gegenseitigen Abhängigkeiten dieser Dimensionen ein wichtiger Teil der Nachhaltigkeitsdebatte. Somit befasst sich zum Beispiel die Wissenschaft, aber auch andere Akteure aus der Zivilgesellschaft oder Journalisten alltäglich mit vielen Themen, die ganz natürlich einen Bezug zur Nachhaltigkeitsdiskussion haben, ohne dies expliziert zu erwähnen oder gar zu bedenken.
Zudem ist der Begriff „Open Data“ sehr offen. Nahezu alle Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes sind in elektronischer Form – Großteils bereits in GENESIS-Online – zum Abruf und die Nutzung durch jede Person verfügbar. Dies betrifft allerdings regelmäßig nur aufbereitete und aggregierte Ergebnisse, die nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand Rückschlüsse auf Einzelfälle zulassen. Der Zugang zu solchen Mikrodaten, wie er oftmals von der Wissenschaft oder Journalisten gefordert wird, ist in Deutschland aus datenschutzrechtlichen Gründen durch die so genannte statistische Geheimhaltung stark eingeschränkt. Die Statistischen Ämter bieten der Wissenschaft jedoch die Möglichkeit mit Scientific-Use-Files, die beispielsweise absichtlich verzerrte oder anderweitig anonymisierte Daten enthalten, in speziellen Forschungsdatenzentren zu arbeiten.
Zahlreiche Umweltdaten auf Mikroebne, die für den Umweltdiskurs im Bereich der Nachhaltigkeit genutzt werden könnten oder bereits werden, liegen primär allerdings gar nicht bei den Statistischen Ämtern, sondern fallen im Verwaltungsprozess an anderer Stelle an. Hier obliegt uns teilweise ihre Aufbereitung und Interpretation für Zwecke der Berichterstattung zur DNS. Direkt und ohne diese aufzubereiten und in einen Kontext zu setzten, dürfte es indes schwierig sein, Open Data auf Mikroebne zum Monitoring der DNS heranzuziehen. Zwar verschleiern Indikatoren immer einen Teil der Realität und vereinfachen diese, allerdings ist es für die Interpretation auch notwendig, Daten sinnvoll zusammenzufassen und in einen Kontext zu setzen.
Sie sehen, wie groß die derzeitige faktische Nutzung von Open Environmental Data für die Umsetzung der DNS durch die Forschung ist, hängt von ganz vielen Faktoren und Definitionen ab. Die notwendigen Informationen zur Beurteilung sind zudem nicht zentral verfügbar. Somit lässt sich ihre Nutzung auch nicht exakt bestimmen.
Welche Herausforderungen zur Etablierung von Open Environmental Data für eine nachhaltige Entwicklung gibt es?
Schieferdecker: Wie von Herrn Kaumanns ausgeführt, ist das derzeitige Bewusstsein, die Bereitstellung und die Nutzung von offenen Daten für die Umsetzung der DNS einzusetzen, immer noch zu gering. Das Verständnis über die Werte und die Kraft der Agenda 2030 muss genauso wie das zu digitalen Gemeingütern gesellschaftlich und weltweit etabliert werden, so dass etwa Open Environmental Data konsequent bereitgestellt und im Interesse der Umsetzung der Agenda 2030 genutzt werden. Die verbundenen Zielkonflikte rund um Themen wie etwa Transparenz, Willensbildung und politische Entscheidungsmacht, gehen uns alle an und sind zugunsten der Gemeinwohlorientierung entsprechend der SDGs aufzulösen.
Aufgrund der Bedeutung digitaler Gemeingüter für eine nachhaltige Entwicklung sollten ihre Bereitstellung sowie ihr Schutz nach unserer Einschätzung am besten über die internationale Ebene (UN) und dann vermittelt auf die transnationalen und nationalen Ebenen als politische Ziele festgeschrieben und mit den nötigen Ressourcen in die Umsetzung gebracht werden. Inwiefern dies realisiert werden kann wird einen entscheidenden Einfluss auf die Frage haben, ob die Digitalisierung ein Motor für eine nachhaltige Entwicklung sein kann.