Interview mit Ute Klammer: Zur Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik

Prof. Ute Klammer, Geschäftsführende Direktorin am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, Mitglied u.a. des Sozialbeirats der Bundesregierung

Welche Anforderungen stellt die Politik derzeit an die Wissenschaft in Sachen Nachhaltigkeit? Welche großen Herausforderungen gibt es? Wo kann man für Verbesserungen ansetzen? Darüber spricht Ute Klammer im Interview.

 

Frau Klammer, können Sie kurz skizzieren, welche Anforderungen die Politik aktuell an die Wissenschaft stellt, um sie in Sachen Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie zu unterstützen?

Ute Klammer: Ein großes Thema derzeit ist die „Stärkung der Politikkohärenz“, diese wurde zum Beispiel bei  der Aktualisierung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2018 als eine besondere Herausforderung identifiziert. Auch die stärkere Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure ist ein Wunsch der Politik, dazu wurde das Forum Nachhaltigkeit im Bundeskanzleramt als neues regelmäßiges Dialogformat etabliert. Der wissenschaftliche Beitrag soll unter anderem über die Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 geleistet werden, die unter anderem zu diesen Zwecken gegründet wurde, was auch notwendig war.

Weshalb?

Klammer: Die Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft war bisher für solche Aufgaben nicht ausreichend ausgestattet. Das ändert sich nun aber langsam.

Welche konkreten weiteren Herausforderungen sehen Sie an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft und welche Verbesserungsvorschläge haben Sie?

Klammer: Die Liste der Herausforderungen und Lösungsansätze ist recht lang – soweit ich sie  anhand meiner Arbeit in wissenschaftlichen Beiräten und weiteren politikberatenden Gremien der Bundesregierung überblicke. Ich möchte mich auf ein paar zentrale Beispiele konzentrieren:

Da ist einmal das Problem unterschiedlicher Zeithorizonte und Erwartungen: Wissenschaftliche Kommissionen und Gremien werden häufig temporär eingesetzt, mit hohem politischen Zeitdruck, da so Handlungswillen demonstriert und ein Problem zunächst „ausgelagert“ werden kann. Erwartet werden dabei schnelle, knapp und verständlich formulierte Ergebnisse. All dies entspricht nicht den herkömmlichen wissenschaftlichen Zeithorizonten, die oftmals sehr viel länger sind. Eine bessere Kommunikation diesbezüglich von Anfang an oder auch eine Parzellierung von Arbeitsaufträgen könnte helfen.

Auch spiegeln die wissenschaftliche Ausbildung und das Gratifikationssystem für wissenschaftliche Karrieren diese Anforderungen nicht. Wissenschaftliche Politikberatung, Kommunikation und Textsorten unterscheiden sich von denen der wissenschaftlichen Fachcommunity und sind weder feste Bestandteile des Studiums noch Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere. Auch sollte die wissenschaftliche Politikberatung keine kommunikative Einbahnstraße sein. Es reicht nicht, wissenschaftliche Erkenntnisse – wenn überhaupt – im Sinne eines „Transfers“ in die Politik hineinzutragen. Gesellschaftliche Herausforderungen erfordern die gemeinsame Diskussion und Entwicklung von Forschungsthemen von Anfang an. Interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sollten entsprechend geschult werden. Wissenschaft und Gesellschaft sollten im Sinne von „citizen science“ oder „community based research“ schon in die Identifikation von Forschungsdesideraten zusammen arbeiten. An den Hochschulen können entsprechende Orientierungen durch Ansätze von „service learning“ und „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ gefördert werden.

Zudem wäre es andersrum natürlich auch hilfreich, die Politik stärker für die Kommunikation mit der Wissenschaft zu sensibilisieren. Wenn Politik die stärkere Einbeziehung von Wissenschaft ins Auge fasst – wie in der Nachhaltigkeitsstrategie postuliert –  so sollte auch reflektiert werden, dass das Gratifikationssystem in der Wissenschaft bisher kaum darauf angelegt ist Engagement in der Politikberatung zu fördern. Im Gegenteil: Wer sich dieser Aufgabe stellt und Zeit und Ressourcen entsprechend einbringt, riskiert, im Wettbewerb um kompetitive Drittmittel und referierte Publikationen abgehängt zu werden. Wenn die Politik die besten Köpfe für die Gestaltung der zukünftigen Herausforderungen gewinnen will, so wird kein Weg daran vorbeigehen, über neue Anreizstrukturen nachzudenken.

Ein weiterer Bedarf liegt in der Koordinierung. Die wissenschaftliche Politikberatung zu den übergreifenden Themen der Nachhaltigen Entwicklung erfordert Ressort- und Disziplinenübergreifende Zusammenarbeit. Wie nicht zuletzt die Auftaktveranstaltung des von der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 und SDNS Germany organisierten Beirätedialogs gezeigt hat, gibt es häufig Überschneidungen in der thematischen Ausrichtung der Arbeitsaufträge an die Beiräte, ohne dass diese entsprechend im Austausch stehen.

Zu überprüfen wäre, inwiefern gemeinsame Herausforderungen und Chancen besser identifiziert und adressiert werden können. So etwas könnte durch eine Plattform oder Datenbank geschehen. In diesem Zusammenhang wäre es ratsam, abgestimmte Standards für die wissenschaftliche Politikberatung – diese existieren bisher nach meinem Kenntnisstand nicht – zu entwickeln. Hierzu gehört auch die Frage, wie wissenschaftliche Politikberatung evaluiert bzw. ein regelgeleitetes Monitoring etabliert werden kann. In den Bedarf für eine Koordination dieser gemeinsamen Arbeit spielt auch wieder das Thema der unterschiedlichen Zeithorizonte mit hinein.

Manche wissenschaftliche Beiräte bestehen schon seit langem, wie etwa der bereits von Adenauer eingerichtete Sozialbeirat. Das ermöglicht es, stabile Arbeitsstrukturen aufzubauen und Themen langfristig zu verfolgen. Andere Gremien und Kommissionen werden hingegen häufig sehr kurzfristig und nur für einen begrenzten Zeitraum aufgesetzt. Dies ist weder in Bezug auf das Know‐How, noch in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeitenden nachhaltig. So wurde nach Ende der Arbeit der ersten Gleichstellungskommission etwa deren gesamte Geschäftsstelle aufgelöst – bevor der Bundestag  beschloss, künftig regelmäßig wissenschaftliche Gleichstellungsberichte erstellen zu lassen, so dass wieder eine Kommission berufen und eine komplett neue Geschäftsstelle aufgebaut wurde.  Zu prüfen wäre, ob für diese Aufgaben dauerhaftes Personal eingestellt und professionalisiert werden könnte, das im Laufe der Zeit wechselnden wissenschaftlichen Kommissionen und Beiräten zuarbeiten könnte.

Im Zuge der Diskussion über mehr „Politikkohärenz“ muss auch ein Dialog darüber geführt werden, wie dies angesichts wechselnder Regierungen und Profilierungsbemühungen der jeweils politisch Verantwortlichen realisiert werden kann. Diese setzen vorzugsweise ihre „eigenen“ Themen und lassen sie – gegebenenfalls ‐ durch wissenschaftliche Beratung absichern und unterstützen. Doch niemand führt gerne die Projekte von Vorgängerinnen oder Vorgängern fort. Stattdessen wird das Rad fleißig neu erfunden. Dies ist tragisch für die wissenschaftliche Politikberatung ‐ vor allem, wenn Kommissionsberichte vor einem politischen Wechsel nicht den Weg in den politischen Prozess gefunden haben oder gar nicht beendet werden konnten. Es ist jedoch auch alles andere als ökonomisch und sozial nachhaltig.

Abschließend reflektiert dieser Mangel an Kohärenz auch die oftmals sehr begrenze Wirksamkeit der wissenschaftlichen Politikberatung und mangelnde Verwertung und Umsetzung ihrer Ergebnisse und Empfehlungen. Enttäuschungen in der wissenschaftlichen Politikberatung resultieren häufig daraus, dass  Ergebnisse – üblicherweise Berichte und damit verknüpfte Empfehlungen – ohne die erwartete Resonanz „in der Schublade verschwinden“. Selbstverständlich kann keine Verpflichtung zur politischen Umsetzung wissenschaftlich abgeleiteter Handlungsempfehlungen bestehen. Es ist aber zu fragen, ob nicht wenigstens eine Verpflichtung zur Auseinandersetzung der Politik mit den in Auftrag gegebenen Arbeiten bestehen sollte.

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