Interview mit Jörg Hacker: Wissenschaft und Nachhaltigkeit

Prof. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Lenkungskreis der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030

Wie stellen sich Wissenschaftsakademien Fragen der nachhaltigen Entwicklung? Welche Themenbereiche stehen dabei im Vordergrund? Welche Herausforderungen gibt es? Wie kann die Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft gestärkt werden für die Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie?

 

Herr Hacker, warum befassen sich Wissenschaftsakademien zunehmend mit Fragen einer nachhaltigen Entwicklung?

Jörg Hacker: Akademien waren schon immer ein Ort des lebendigen wissenschaftlichen Dialogs. Sie vereinen exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen aus dem In- und Ausland. Damit sind Akademien aus meiner Sicht in besonderem Maße geeignet, sich mit Fragen einer nachhaltigen Entwicklung auseinanderzusetzen. Die Leopoldina befasst sich bereits seit 2012 mit der Rolle der Wissenschaft für eine nachhaltige Entwicklung im Rahmen von interdisziplinären Symposien und Workshops. Wir bauen dabei auf ein umfassendes Wissenschaftsverständnis, das von der Grundlagenforschung bis zur angewandten Wissenschaft reicht und das ganze Spektrum der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen umfasst.

Welche Themenbereiche und Fragestellungen stehen dabei aktuell im Vordergrund?

Hacker: Die Leopoldina hat sich zuletzt intensiv mit der kognitiven Dimension menschlichen Handelns in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung auseinandergesetzt. In einem disziplinenübergreifenden Symposium mit dem Titel „Brain Power for Sustainable Development“ konnten wir grundlegende Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie mit aktuellen Ergebnissen der Gesundheits-, Bildungs-, Wirtschafts- sowie Klima- und Umweltforschung koppeln. Dabei wurde deutlich, dass kognitive Fähigkeiten wie Abstraktions-, Planungs- und Problemlösungskompetenz im Zusammenspiel von genetischer Disposition, Gehirnentwicklungsprozessen und sozialer Erfahrung eine wichtige Rolle für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation spielen. Diese Kompetenzen können gezielt beeinflusst und gestärkt werden, insbesondere in der frühen Kindheit, aber auch in späteren Lebensphasen. Dieser Befund hat aus meiner Sicht weitreichende Implikationen für die zielgerichtete Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland und der Agenda 2030 auf globaler Ebene.

Wie kann ein ressort- und disziplinenübergreifendes Engagement von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in Fragen einer nachhaltigen Entwicklung verbessert werden?

Hacker: Die Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung sind so komplex, dass sie von keiner Disziplin allein gemeistert werden können. Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Breite erfordert geradezu die Überwindung disziplinärer Grenzen. Gleichzeitig kann aber interdisziplinäre Zusammenarbeit nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf disziplinärer Exzellenz fußt. Wir dürfen also die fachliche Ausbildung nicht vernachlässigen, müssen aber gleichzeitig mehr Möglichkeiten schaffen, über den eigenen disziplinären „Tellerrand“ hinauszuschauen. Das dafür notwendige Momentum kann sich allerdings nur aus der Wissenschaft selbst und ihrem inhärenten Erkenntnisinteresse entwickeln. Dies trifft insbesondere auch auf die Grundlagenforschung zu, die ich als eine außerordentlich ergiebige Quelle von unvorhersehbaren Entwicklungschancen für zukünftige Generationen sehe.

Welche Maßnahmen könnten aus Ihrer Sicht helfen, das Science-Policy Interface der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie grundlegend zu stärken?

Hacker: Politische Entscheidungen müssen auf der Grundlage verlässlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden können. Aus meiner Sicht wäre es daher ein wichtiger Schritt, dass sich Wissenschaft und Politik bei der Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zu jedem Zeitpunkt ihrer jeweils eigenen Rolle bewusst sind. Die Wissenschaft macht keine Politik. Die Verantwortung für die Ausgestaltung und Umsetzung von Politik liegt bei den politischen Entscheidungsträgern in Regierung und Parlament, denn nur sie sind dazu demokratisch legitimiert. Durch ihre Politikberatung kann die Wissenschaft aber mögliche Optionen für politisches Handeln aufzeigen. Diese Empfehlungen sind immer dann besonders glaubwürdig, wenn sie transparent und in einem ergebnisoffenen Prozess sowie unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Interessen erarbeitet wurden. Aber auch in Situationen, in denen wissenschaftlicher Rat möglichst schnell benötigt wird, muss die Qualität der wissenschaftlichen Politikberatung stets an erster Stelle stehen. Inwiefern diese Punkte bereits in der Architektur des Science-Policy Interface der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie berücksichtigt werden und wo noch Bedarf für Verbesserungen besteht, sollte ebenso Gegenstand wissenschaftlicher Analysen sein.

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