Innovationsforscherin und wpn2030-Lenkungskreismitglied Prof. Marion A. Weissenberger-Eibl, Fraunhofer ISI, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), schreibt in ihrem Beitrag über Potenziale der Corona-Krise, insbesondere auch für nachhaltige Entwicklung. In einem Interview mit deutschland.de spricht sie zudem über weitere Aspekte.
Wie wollen wir in Zukunft leben?
Mehr denn je führt die Corona-Krise allen Akteuren deutlich vor Augen, wie anfällig unsere Gesellschaft und ihre Systeme gegenüber exogenen Schocks sind. Viele trifft der Shutdown hart und manch eine/r wünscht sich in die Zeit vor Corona zurück. Doch wollen wir diese Rückkehr zum Status quo wirklich? Diese schwere Krise bringt beispielsweise auch einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt und langfristige Chancen mit sich. Die Gefahr des Rückschritts zu alten, teils nicht-nachhaltigen Mustern ist indes größer, wenn wir nun beginnen, unsere Fortschritte und Ziele in sozialen und ökologischen Bereichen aufzuweichen, um zu kurzfristig gedachte Konjunkturbestrebungen zu verfolgen. Wir dürfen unsere Augen auch in den Zeiten einer weltweiten Pandemie nicht vor den anderen großen Herausforderungen verschließen, die systemisch miteinander verknüpft sind. Unsere Hausaufgaben, verbunden beispielsweise mit der digitalen Transformation, den globalen Migrationsströmen, dem Biodiversitätsverlust und dem Klimawandel, warten noch immer direkt vor unseren Haustüren. Und doch frage ich: Ist diese Krise nicht auch eine Chance für Veränderung? Daher versuche ich, meinen Blick auf die positiven Seiten zu lenken.
So hat die Corona-Krise innerhalb kürzester Zeit beispielsweise innovative Lösungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen zum Vorschein gebracht. Ein Beispiel sind die Nachbarschaftsinitiativen, die vulnerable Gruppen unterstützen und so vielen Menschen ihr Leben zu Hause erleichtern oder gar ermöglichen. Gerade in diesen Bereichen hatten wir vor der Krise oft massive Engpässe. Und nun? Soziale Innovationen mit ehrenamtlichem Engagement und gegenseitiger Hilfe und Unterstützung zeigen in dieser Krise einmal mehr ihre Systemrelevanz und einen Lösungsansatz. Bund und Länder sind daher gefordert, soziale Innovationen, die wichtige Lösungsmechanismen für gesellschaftliche Fragestellungen bieten, beispielsweise bei der Verstetigung, Professionalisierung und Skalierung zu unterstützen.
So steht auch in der Corona-Krise für mich eine Frage im Vordergrund: Wie und wovon wollen wir in Zukunft leben? Resilienz gegenüber externen Schocks ist ein Prüfstein, nachhaltige Lösungen für die „Grand Challenges“ und nachhaltiges Handeln im Sinne der SDGs ein anderer. Für beides ist unsere Zukunftsfähigkeit gefragt.
Dies betrifft auch die Wirtschaft. Sie steht vor immensen Herausforderungen, diese Krise zu bewältigen. Kleine und große Unternehmen müssen mit einbrechende Märkten und unterbrochenen Lieferketten umgehen, existentielle Entscheidungen treffen und Herausforderungen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die schon vor der Pandemie gedrängt haben, nun ad hoc meistern. In dieser Situation zeigen viele Unternehmen Reaktionsschnelligkeit und Anpassungsfähigkeit. Manche Firmen haben aus der Not heraus ihr Geschäftsmodell verändert, können aber so das eigene Überleben sichern und gefragte Produkte und Leistungen liefern. Die Corona-Krise und die entfachte Dynamik verstärken den Pfad hin zu einem neuen Paradigma, das unternehmerische Flexibilität, Resilienz und Stakeholder-Orientierung erfordert. Meine Hoffnung ist, dass Unternehmen in der Krise auch eine Chance erkennen, sich für die Zukunft neu aufzustellen und dabei ihre ökonomischen, sozialen und ökologischen Ziele und die Folgen ihres Handelns in Balance zu bringen. Denn Nachhaltigkeit ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, um auch für zukünftige Generationen einen lebenswerten Planeten zu ermöglichen.
Die weiteren Ausführungen von Marion A. Weissenberger-Eibl zu den Potenzialen der Corona-Krise im Interview mit deutschland.de finden Sie hier.